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Mit der Inszenierung der „Weibervolksversammlung“ landen Kostas Papakostopoulos und das Deutsch Griechische Theater einen Coup. Die „Ekklesiazusen“ von Aristophanes spielt diesmal im Theater im Bauturm.

COELLN/fvt Praxagora hat die Nase voll. Die Männer lenken die Geschicke des Staates so unqualifiziert, daß Staat und Gesellschaft vor die Hunde gingen, lautet ihr Credo. So plant sie zusammen mit den anderen Frauen den Umsturz, zu retten den Staat, und die Gesellschaft zu wahrem Glück zu führen. Unter der Herrschaft der Frauen würden alle Güter allen gehören, und alle könnten alles (und jeden!) haben. Arkadische Zustände würden herrschen, Neid und Zwietracht überwunden. Die Gesellschaft könnte in immerwährender Glückseligkeit baden.

In diesem Sinne weltanschaulich eingenordet, schleichen sich die Frauen als Männer verkleidet in die Volksversammlung, wo Praxagora eine flammende Rede hält und tatsächlich einen Umschwung erreicht. Ihr Ehemann, Blepyros, indes bleibt zunächst skeptisch. Er stellt die Revoluzzerin zur Rede, die ihn und den simplen Chremes überzeugen kann, da in ihrer Vision des idealen Staates nicht nur Essen und Wein, sondern auch die Liebe zu Allgemeingut wird, so daß kein menschliches Bedürfnis mehr zu kurz kommen wird. Viel mehr Argumente braucht es nicht.

Im Staat der neuen Ordnung beginnen die Probleme, spätestens als es um Liebe und Leidenschaft geht. Wer darf wann und mit wem? Denn alles ist gesetzlich geregelt, was die Sache keinesfalls einfach und kaum angenehmer macht. Vor Mißbrauch ist auch diese System nicht geschützt. Doch letzten Endes stört das nicht. Denn der Wein wird nicht mit Wasser vermischt, fließt in Strömen, und Essen ist auch genug da. Wen stört es da schon, wer mit wem…?

„Ekklesiazusen“ kam vermutlich 392 v. Chr. zur Uraufführung. Hätte es damals, vor gut 2.400 Jahren, bereits Privatfernsehen gegeben, wäre dieses Stück dort im Vorabendprogramm plaziert worden, vielleicht aber auch später. Denn es strotzt vor Fäkalhumor und Obszönitäten, geizt nicht mit übertriebener Albernheit und karikaturesken Charakteren. Das gesellschaftlich-politische Grundmotiv überdreht sich dabei nahezu grenzenlos und fährt letztlich mit Pauken und Trompeten vor die Wand – was wiederum nicht unsympathisch ist und schon die antiken Zuschauer nicht eben schlecht erheitern konnte.

Heute mag dieses Stück ein Wagnis sein. Es bedarf viel Mutes und schauspielerischen Könnens, sich auf der Bühne so danebenzubenehmen, wie es das Stück fordert. Kostas Papakostopoulos‘ Truppe gelingt es ausgezeichnet! Herausragend ist Stefan Kleinert als Blepyros, der Praxagora, gespielt von der exzellenten Lisa Sophie Kusz, grandios die Stirn bietet.

Beinah ebenso interessant wie das souveräne Spiel des Ensembles wirkt ein Blick in das Publikum hinein. In wem alle Ebenen aktueller medialer Peinlichkeiten Unbehagen auslösen, wer darob immerzu Zuflucht in der scheinbar obligatorischen und obligatorisch codierten, bedingungslosen Intellektualität des heutigen Theaters sucht, den reißt es hier jäh aus seinen Träumen. Ein lohnender Anblick! Und die Botschaft des Stückes ist geradezu prädestiniert, um im mediokren Bildungssumpf unserer Tage für Frischluft zu sorgen. Was die „Ekklesiazusen“ zum Ausdruck bringen, läßt sich in eine auch dem biedersten Studiendirektor geläufige Formel fassen: „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst.“

Aristophanes eben. Scheiße, ist das geil!

 

Weibervolksversammlung
nach Aristophanes

Eine Inszenierung des Deutsch Griechischen Theaters in Koproduktion mit dem Theater im Bauturm.

Konzeption und Regie: Kostas Papakostopoulos
Bühnenbild und Kostüme: Ulrike Mitschke
Musikkomposition: Herbert Mitschke
Dramaturgie: Florian Meyer
Licht: Heiko Heinrich Bujak

Praxagora: Lisa Sophie Kusz
Kleinarete/erste alte Frau: Annika Weitershagen
Sostrate/Mädchen: Stephanie Meisenzahl
Philainete/dritte alte Frau: Elisabeth Pleß
Blepyros/Mann: Stefan Kleinert
Nachbar/zweite alte Frau: Vassilis Nalbantis
Chremes: Thomas Franke
Jüngling: Gerald Liebenow