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Der erste Grexit oder das Fatum, Thebaner zu sein

Oper Bonn zeigt die deutsche Uraufführung von Julian Andersons „Thebans“.

BONN/ck „Thebans“, ein Auftragswerk der English National Opera in London und der Oper der Bundesstadt Bonn, erlebte am 3. Mai seine kontinentale Uraufführung. Unter der Regie des bekannten Amsterdamer Spielleiters Pierre Audi (er verantwortete auch die Londoner Uraufführung) und der musikalischen Leitung des 1. Kapellmeisters Johannes Pell erlebte die alte Hauptstadt einen Abend mit moderner Oper auf höchstem Niveau.

Frank McGuinness (Libretto) und Julian Anderson (Kompostion) zeigen sich sicher in der Bearbeitung des antiken Stoffes. Dankenswerterweise versucht niemand, hier neue Aspekte aus einer alten Geschichte zu entwickeln oder sie krampfhaft zu modernisieren und der Jetztzeit anzupassen. Heraus kommt ein Dreieinhalb-Stunden-Epos, das die Einzelgeschichten von Ödipus, Antigone und Theseus vs. Kreon in eine einzige Operngeschichte packt.

Genügend dramatisches Material für die Kürze der Zeit und ein kräftezehrendes Opus magnum für die Solisten und den Chor. Gerade das Element des „Chorus“ verarbeitet bereits das Libretto in geradezu klassischer Manier. Er bildet das Kontinuum, das Narrativum, er setzt die einzelnen Erzählstränge zu einem, zu dem Ganzen zusammen. Er stellt die Stadt selber dar und dient der Teichoskopie in die Stadt hinter den Mauern des Palastes (Bühne Tom Pye). Ein archaischer Bau, der in treffender Weise am Rhein als Schanzkästen (Gabionen) aufgerichtet ist.

Auch die Moral resümiert der omnipräsente Chor wie in einem griechischen Drama. Aus diesem dramatischen Grundgerüst entfaltet sich die Musik vollkommen befreit in einer modernen Weise, ohne den Irrweg des Modernismus zu streifen. In einigen besonders gelungenen Passagen stehen Sing- und Orchesterstimme in einem perfekten dialogischen, diskursiven Verhältnis, daß man beinah meinen könnte, eine Opernkomposition Gustav Mahles zu hören.

Der Dreiakter beginnt mit einer Retrospektive. König Ödipus ist tot und das Königreich Theben verloren. Ein Chor der Elenden ruft flehend nach irgendeiner Form der Erlösung. Doch der alte König ist fort. Kreon in seinem vorbestimmten Schicksal ebenso verloren wie Jocaste, Mutter und Ehefrau des Ödipus. Die Furien suchen Kreon heim, weil er sich gegen den Apoll und das Gesetz aller Götter stellt.

Der Mensch hat kein Recht, gegen sein Schicksal aufzubegehren

In dieser düsteren Szenerie präsentiert Anderson die dramatischen Personen Ödipus (brillant gesungen und gegeben von dem britischen Bariton William Dazeley) und Kreon (stimmgewaltig der britische Tenor Peter Hoare). Verführerisch der Mezzosopran der Jocaste (die großartige Anjara Bartz), und mit fantastischer Präsenz auch die Nebenrollen: Tiresias (Rolf Broman, Baßbariton), der Bote (Jakob Huppmann), Haemon und Polyneices (Christian Georg, Giorgos Kanaris), ein Hirte (Nicholas Probst) und wunderbar der Eteocles von Olaf Reinecke. Und immer wieder der Chor, der in Bonn – erwartungsgemäß – eine großartige, in dieser Inszenierung sogar eine fulminante Leistung auf die Bühne bringt.

Trotz einer geradezu Mahlerischen Virtuosität agiert die moderne Orchestrierung oft perkussiv und antagonistisch zu den Singstimmen, ohne daß der Plan hierfür sinnfällig würde. Doch das Opernhaus holt alle Götter aus seiner Maschinerie heraus und schafft das Gesamtkunstwerk, das Oper sein kann, wenn man es klug in Szene setzt (Licht Jean Kalman).
Einen Teil des Premierenpublikums erreicht diese Form modernen Musiktheaters nicht. Nach der ersten Pause erfolgt das erste Revirement der Platzwahl.

Future und Present

Der zweite Akt spielt in der Zukunft: Die Geschichte der Antigone, deren Liebe zu ihrem Tod führt. Kreon wird untergehen. Wer die Götter versucht oder sich gegen das divine Moralgesetz stellt, hat auch in der Welt der Sterblichen keine Zukunft. Drei starke Stimmen: Kreon, Antigone (ein Genuß ist Yannik-Muriel Noahs köstlicher Sopran) und der charmante Countertenor Jakob Huppmann in der Rolle des Theseus. Die Mauern der Stadt sind längst dem Zerfall ausgesetzt.

Ein Stück neuer Opernliteratur, das das Zeug hat, zum Klassiker zu werden. Nun gelingt es auch dem Beethovenorchester, seine Fähigkeiten aus dem Graben zu hieven, und mit gekonnt leichter Geste auch die anspruchsvollsten Passagen mit Perfektion und Enthusiasmus hinauf in den Saal zu bringen.

Der letzte Akt beschreibt die Gegenwart. Der geblendete Ödipus harrt mit Antigone in Colonus aus. Kreon versucht, die Tochter des verbannten Königs rauben, wird aber von Theseus daran gehindert. Dafür fordert der Kampf der Brüder Antigones das Leben von Eteokles und Polyneikes.

In der Endzeitszenerie des Zwischenreiches (beeindruckendes minimalistisches Bühnenbild) trumpft die Oper „Thebans“ ein weiteres Mal auf. Das Finale kommt so überraschend, daß es eine Ewigkeit an Augenblicken dauert, bis der Applaus einsetzt.

Auch wenn das Haus nun zu einem Drittel geleert ist, reicht auch die verbliebende Mehrheit aus, um enthusiastische Begeisterungstürme zu entfesseln.

Das Menetekel der Braunfels-Inszenierung steht sicherlich heute noch über jeder Produktion neuer Musik in Bonn. Der Inszenierung von „Thebans“ ist ohne Zweifel zu wünschen, lange auf dem Bonner Spielplan zu verweilen und ein großes Publikum zu erreichen. Diese Oper hat einfach beinah alles, um ein Klassiker zu werden.